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Das Jahr 1494 - Kampen
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Kampen! Was für eine herrliche Stadt! An allen Ecken wehten blau-weiße Fahnen. Die Stadttore waren mit ihren hohen, breiten Türmen fast so groß wie Schlösser. Auf der langen Oudestraat standen Häuser, wie er sie in Holland noch nie gesehen hatte. Eindrucksvolle Kaufmannshäuser mit Fassaden voller Fenster. Und überall Menschen! Vor der Fleischhalle, auf dem Fischmarkt und vor dem Rathaus, wo jemand am Pranger stand… Ties fielen fast die Augen aus dem Kopf.
Nun saß er am Hafen und blickte auf die Hanseschiffe, die neinandergereiht im Wasser dümpelten. Neben den blau-weißen Fahnen der Stadt entdeckte er an manchen Schiffen die rotweißen Flaggen der Hanse. Zuvor hatte er in vier Schänken gesungen und gut verdient. Nach seinem letzten Auftritt hatte er sich draußen auf eine Bank gesetzt, um einen Krug Bier zu trinken. Direkt vor ihm befand sich die lange Kampener Zollbrücke. Im Wasser schwammen auffällige Bakentonnen, die den Schiffern den Weg wiesen.
„Schön, oder?“ Die Schankmagd stand in der Türöffnung und wies in Richtung Brücke. „Der Bischof, der Kaiser und die anderen Hansestädte: Sie alle forderten den Abriss der Brücke. Doch Kampen hat sich erfolgreich geweigert. Wir lassen uns nichts vorschreiben.“ „Kampen ist ein stolzer Ort!“, grinste Ties. „Zu Recht! Es ist die reichste Stadt der nördlichen Niederlande. Amsterdam und Antwerpen sind in aller Munde, aber wenn wir mal ehrlich sind, dann können sie nicht mit uns mithalten. Vor 20 Jahren hat selbst der König von Dänemark acht Tage in Kampen residiert. Das sagt doch alles!“
Auf der Bank neben Ties saß ein junger Matrose. Mit einem starken skandinavischen Akzent fiel er ihnen ins Wort. „Genau. Ich bin auch Däne. Bin gewesen überall, aber Kampen ist goldene Stadt. Bin hierher gezogen. Herrlich. Nur an die Frauen muss man sich gewöhnen.“ Er lachte. „Gewöhnen? Warum?“, fragte Ties. „In Niederen Lande haben Frauen viele Rechte und Freiheiten. In anderen Ländern ist Frau Hure, wenn sie allein über Straße geht. Aber hier dürfen Frauen das. Ohne Bruder und Mann. Sie darf reden, mit wem sie will.“ „Und das findest du leidig?“ „Haha, im Gegenteil. Ich bin mit einer verheiratet!“ Der Matrose zeigte auf die Schankmagd. An ihrem glühenden Gesicht sah Ties, dass er die Wahrheit sprach.