Das Jahr 1491 - Reinoever

„Spielmann, Mama! Da ist ein Spielmann!“, rief das Mädchen, als sie Ties bemerkte. Sie rannte auf ihn zu. „Schau mal, was ich habe!“ Ties erwartete einen schönen Stein oder einen toten Frosch. Aber nein, in ihrer offenen Hand lag ein glänzendes Glöckchen aus Silber. Ein Glöckchen, wie es Narren an ihren Kappen trugen. „Die ist wirklich schön“, sagte Ties. „Woher hast du sie?“ „Ein Ritter hat sie verloren“, sagte das Mädchen begeistert. „Nein, das kann nicht sein“, korrigierte Ties sie. „Ritter tragen keine Glöckchen.“ „Hier schon!“ nickte das Mädchen eifrig. Ties schüttelte lachend den Kopf.

„Babs hat recht“, mischte sich die Frau ein. „Einmal im Jahr ziehen Ritter mit Narrenkappen durch den Ort.“ „Sie wollen mich wohl veralbern?“ „Nein, es stimmt. Dieser Weg führt nach Kleve, wo die Schwanenburg liegt, die Burg des Herzogs. Einmal im Jahr versammelt sich dort der Orden der Narren.“ „Und das sind echte Ritter?“ „Mehr als das! Es handelt sich um eine adelige Gesellschaft aus Grafen, Rittern und Herzögen. Sie schmücken sich mit rot-weißen Narrenkappen und einem Narrenstab.“

„Aber warum das Ganze?“ „Nun, meine Nichte hat es mir erklärt. Sie arbeitet als Küchenmagd auf der Schwanenburg. Dir ist doch sicherlich bekannt, dass jeder Hof seine eigenen Narren hat, oder? Die Narren können ungestraft tun und lassen, was sie wollen, während sich rechtschaffene Menschen an zahlreiche Regeln halten müssen – abhängig von ihrem Beruf und ihrer Herkunft. Der Herzog von Kleve träumte davon, in die Rolle eines Narren zu schlüpfen. Er beschloss, dass die Adeligen ihre Streitigkeiten sowie ihren Stand und ihren Rang einmal pro Jahr beiseitelegen sollten, um für kurze Zeit alle gleich zu sein. Narren in einer verkehrten Welt.“ „Wie beim Karneval?“ „Ja, nur dass dies eine ernsthafte Angelegenheit ist. Die Mitglieder erhalten strenge Strafen, wenn sie der Ritterrunde fernbleiben.“ „Ernsthaft?“ Die Frau lachte. „Ja doch. Hatte ich schon erwähnt, dass sie Turniere auf hölzernen Steckenpferden veranstalten?“