Hanse Radweg
Antje führt Sie entlang des Hanse-Radweges - Etappe 2 | Wesel via Kalkar/Grieth- Emmerich
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Mittelalterliche Juwelen
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Golden Gate Brücke am Niederrhein, es sieht aus wie in Kalifornien!
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Genossenschaft "Hanselädchen".
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Historisches Kostüm
Auf der 2. Etappe radeln Sie durch üppige Landschaften mit Blick auf den Rhein. Sie bewegen sich von Kalkar nach Emmerich. Unterwegs ändert sich die schöne Natur sehr. Von historischen Handelsstädten bis zur Golden Gate Bridge in Deutschland... Ich zeige Ihnen, was ich auf dem Weg gesehen habe. Radeln Sie mit mir?
Mittelalter-Kleinod Kalkar
Die nächste Etappe des Hanseradweges führt nach Kalkar. Anders als Neuss oder Wesel ist die Stadt von Zerstörungen weitgehend verschont geblieben. Entsprechend einheitlich ist das Stadtbild: Backsteinfassaden, Giebelhäuser und Kopfsteingassen – das mittelalterliche Kalkar begeistert auf den ersten Blick. Auf den Zweiten fällt auf, dass hier alles Struktur hat. Nichts wirkt zufällig, sondern alles bestens arrangiert. Kalkar ist am Reißbrett entstanden und das sieht man. Die Stadtgründung geht auf das Jahr 1230 zurück und in den folgenden Jahrhunderten florierte der Handel mit Tuch, Bier und Getreide, sodass Kalkar schnell zu den reichsten Städten am Niederrhein zählte. Weitere Prachtbauten waren die Folge und auch an ihnen können sich Besucher noch heute erfreuen.
Das schönste Rathaus
Wie bei einer geplanten Stadt nichts anders zu erwarten, führen in Kalkar (fast) alle Wege zum zentralen Marktplatz. Mit seinen vielen Restaurants und Cafés ist der schöne Platz der ideale Ort für eine Rast auf dem Hanseradweg. Kaum angekommen, wird der Blick wie magisch von dem imposanten, schlossartigen Rathaus angezogen. Der gotische Bau stammt aus dem Jahr 1446 und zählt zu den eindrucksvollsten Profanbauten des Mittelalters. Mit seinen vielen Zinnen und dem hohen Turm wirkt er wehrhaft, zugleich verleihen ihm die rotweißen Fensterläden etwas Heiteres und Unbeschwertes. Es dauert einen Moment, bis sich alle an dem Ziegelbau sattgesehen und -fotografiert haben. Dass das Kalkarer Stadtbild so stark von Backstein geprägt ist, hat übrigens einen ganz simplen Grund: im gesamten Umkreis gab es keine Steinbrüche. Auch für das Pflaster am Marktplatz mussten die Menschen im Mittelalter auf einen eher ungewöhnlichen Rohstoff zurückgreifen: tausende Rheinkiesel bilden hier den Untergrund. Schön, aber unbequem, wenn jemand auf hohen Hacken unterwegs ist.
Die älteste Linde
Der nächste Blick gilt stets einem Baum, der als Solitär mitten auf dem Marktplatz steht. Es ist eine historische Gerichtslinde. In ihrem Schatten wurde im 16. Jahrhundert in Kalkar Recht gesprochen. Linden galten in vielen Kulturen als heilig und hilfreich bei der Wahrheitssuche. Dass der fast 500 Jahre alte Baum heute als Natur- und Kulturdenkmal den Marktplatz schmückt, ist einem Baumchirurgen zu verdanken. Die Linde war bereits an der Spitze verdorrt, aber durch den operativen Eingriff konnte der Baum gerettet werden und blieb so der Stadt erhalten.
Hanse-Schleife - Etappe 2
Jede Hansestadt, die ich auf dieser Etappe besuche, hat ihre eigene Hanse-Schleife. Eine Radroute oder Schleife, die in einer Hansestadt beginnt und endet. Klicken Sie auf den Link für die Hanse-Schleife Wesel, Kalkar / Grieth und Emmerich am Rhein.
Das Juwel Kalkars
Auch mit einem sehr eindrucksvollen Sakralbau kann Kalkar aufwarten: die St. Nicolai-Kirche ist eine dreischiffe Pfarrkirche mit einem 70 Meter hohen Turm. Im Mittelalter gab es Wettbewerbe, welche Stadt sich den höchsten Kirchturm leisten konnte und Kalkar hatte das nötige Kleingeld, um ganz oben mitzuspielen. Das zeigt sich auch im Inneren der Kirche: geschnitzte Altäre aus Eichenholz, meisterhafte Skulpturen und bedeutende Gemälde – auch im Mittelalter waren Künstler auf Mäzene angewiesen und ließen sich mit Vorliebe dort nieder, wo es für sie finanzielle Unterstützung gab. So ist Kalkar zu einem der bedeutendsten Kunststandorte am Niederrhein geworden.
Weithin sichtbare Windmühle
Bei einem Streifzug durch das Städtchen gibt es noch viele weitere architektonische Kleinode aus unterschiedlichen Epochen zu entdecken. Besondere Erwähnung verdient die Kalkarer Mühle. Natürlich ist auch sie aus Backstein. Und in ihren Flügeln finden sich die rot-weißen Stadtfarben wieder, die so viele Fensterläden in Kalkar schmücken. Mit einer staatlichen Höhe von 27 Meter – die Flügel nicht mitgerechnet – gilt die Kalkarer Mühle als höchste Mühle am Niederrhein. Durstige und hungrige Radfahrer wird aber vermutlich noch mehr interessieren, dass sich in dem Gebäude auch eine Gaststätte mit guter, regionaler Küche befindet: das „Brauhaus Kalkarer Mühle“. Von Kalkar sind es dann nur noch rund sechs Kilometer nach Grieth, dem vielleicht überraschendsten Ort auf dem Hanseradweg.
Geheimtipp Grieth
In Grieth paaren sich ländliche Idylle und große Geschichte. Es lohnt sich daher, hier einen längeren Stopp oder sogar eine Übernachtung einzuplanen. Auch die ist in geschichtsträchtiger Umgebung möglich: im Haus Grieth. Der zitronengelbe Prachtbau stammt aus dem 14. Jahrhundert und bietet einen unverstellten Rheinblick.
Seit 1969 gehört die ehemals selbstständige Hansestadt zu Kalkar. Das kleine Grieth, in dem heute nur noch rund 800 Menschen leben, erhielt 1250, fast zeitgleich mit Kalkar, Stadtrechte. Die direkte Rheinlage war dafür ausschlaggebend, denn die Grafen von Kleve brauchten dringend einen eigenen Hafen und Schwups war aus dem kleinen Ort ein wichtiger Handelsplatz geworden. Noch bis in die 1920 Jahre bestimmte der Rhein die Geschicke der Bewohner. Die Griether lebten vom Fischfang. Fertigen Netze, Körbe und Fässer. Transportieren Waren und Menschen über den Rhein. Doch Wasserverschmutzung und eine Industrialisierung der Schifffahrt vernichteten die traditionellen Berufe. Arbeitslosigkeit und Abwanderung waren die Folgen.
Das genossenschaftliche Hanselädchen
Um 1970 gab es in Grieth noch mehrere Lebensmittelgeschäfte. Doch nach und nach mussten sie alle schließen und die Einwohner immer weiter fahren, um ihre Besorgungen zu erledigen. Als auch noch der letzte Bäcker aufgab, ergriffen die Menschen selbst die Initiative. Gründeten eine Genossenschaft und eröffneten das „Hanselädchen“. Das Lädchen ist Lebensmittelgeschäft, Café, Post und Treffpunkt zugleich. Und vor allem der sichtbare Beweis dafür, dass es in Grieth noch eine sehr lebendige Dorfgemeinschaft gibt. Radfahrer können sich im „Hanselädchen“ mit einem üppigen Frühstück, Kaffee und Kuchen, oder anderen Kleinigkeiten stärken. Rudi Hellweg, der in Grieth die Dorfführungen macht, sieht in der Initiative eine Wiederbelebung des Hansegedankens. Denn auch im Mittelalter mussten die Menschen aktiv werden und ihr Glück selbst in die Hand nehmen. Wie gut das funktioniert, zeigt auch die erfolgreiche Teilnahme an landesweiten Wettbewerben: Bei „Unser Dorf hat Zukunft“ hat Grieth wiederholt teilgenommen und mehrere wichtige Preise gewonnen.
Schlussspurt: Emmerich am Rhein
Die letzte Etappe auf deutscher Seite bietet eine ganz besondere Erfahrung: die Fahrt über die „Golden Gate Bridge“. Natürlich verläuft der Radweg nicht plötzlich in Kalifornien, aber die Ähnlichkeit der niederrheinischen Brücke mit der in San Francisco ist so groß, dass die Namensgebung sofort einleuchtet, und die Europareise auf dem Hanseradweg für einen Moment sogar zur Weltreise wird.
Golden Gate Bridge am Niederrhein
Die imposante Brücke ist 803 Meter lang und gilt als längste Hängebrücke Deutschlands. Hunderte Containerschiffe fahren täglich unter ihr durch und die Niederlande beginnen unmittelbar hinter den leuchtend roten Stahlträgern, die zusammen mit dem tiefen Blau des Rheins und dem saftigen Grün der Wiesen ein fantastisches Fotomotiv abgeben. Kaum ist die Golden Gate überquert, führt der Hanseradweg zur Rheinpromenade in Emmerich, die nicht weniger beeindruckend ist: durch ihre Länge, das große gastronomische Angebot mit kulinarischen Highlights und den Umstand, dass sie immer in der Sonne liegt. Sogar Strandkörbe gibt es auf der Promenade. Wer in ihnen liegt, hat endgültig das Gefühl, im Italienurlaub zu sein und kann gleichzeitig den Blick auf den Rhein und die zahlreichen Schiffe werfen.
Bedeutende Handelsstadt
Die Grenzstadt Emmerich am Rhein war und ist ein bedeutendes Handelszentrum. Was dazu führte, dass die Stadt im Oktober 1944 bei alliierten Bombenangriffen zu 97 Prozent zerstört wurde. Eine historische Spurensuche ist dennoch ein sehr lohnenswertes Unterfangen, denn es gibt wunderbar skurrile Orte und Geschichten zu entdecken. So steht am Ende der Promenade, ganz unmittelbar am Rhein, eine denkmalgeschützte Kirche aus dem 11. Jahrhundert: die Martini-Kirche. So weit, so normal, möchte man sagen. Aber wenn bei Stadtführungen erzählt wird, dass der Sakralbau durch Hochwasser und große Eisschollen, die es damals noch regelmäßig auf dem Rhein gab, wiederholt schwer beschädigt wurde, horchen die Menschen auf. Und wenn dann von einer „Drehung“ der Kirche und einer Höherlegung des Bodens berichtet wird, staunen sie. Durch die unorthodoxen Baumaßnahmen konnte die Kirche vor weiterem Schaden aus dem Rhein bewahrt werden. Und nur Architekturkennern fällt die veränderte Gebäudeanordnung auf.
Hanse-Gewänder
Hanse-Führungen finden in Emmerich am Rhein grundsätzlich in historischen Gewändern statt. Auf die Bezeichnung „Gewand“ legen die Tourismus-Mitarbeiterinnen der Stadt auch großen Wert: denn es sind keine beliebigen Kostüme, sondern aufwändig gestaltete Gewänder, die sich an den historischen Originalen orientieren, und die jeweilige Stellung der Trägerin oder des Trägers zu Zeiten der Hanse widerspiegeln. Die Gewänder sind übrigens in der Regel aus Leinen und weit angenehmer zu tragen, als man auf den ersten Blick glaubt.
Denkmal für alle Malocher
Anderenorts werden Kaisern und Königen Denkmäler gesetzt. In Emmerich am Rhein ist der „Poortekerl“ verewigt worden. Der bronzene Kerl hat es sich vor der Martini-Kirche bequem gemacht. Mit krummen Rücken kauert er inmitten großer, grauer Steinbrocken und blickt sehnsüchtig auf den Rhein. Wer genauer hinguckt, sieht einen gläsernen Flachmann aus seiner Hosentasche ragen. Nach einem harten Arbeitstag auf den Docks hatte sich der „Poortekerl“ ein paar kräftige Schlückchen redlich verdient. Die Statue soll an die vielen Taglöhner erinnern, die in Emmerich am Rhein seit den Hansetagen die Schiffe be- und entladen haben. Geschaffen wurde der „Poortekerl“ von der Bildhauerin, Grafikerin und Illustratorin Heide Friede Kinalzik, die selbst am Niederrhein lebt.
Rhein-Panorama
Die Künstlerin hat nicht nur den Standort perfekt gewählt, sie hat auch noch eine kleine Überraschung geschaffen: Das rechte Knie des „Poortekerls“ kann als Sitzplatz genutzt werden. Tatsächlich ist es von der häufigen Nutzung auch bereits blank gescheuert. Wer auf dem Schoss des Tagelöhners sitzt, kann den Blick noch einmal über den Rhein und die letzte Etappe des Hanseradweges schweifen lassen. Ein Moment, um innezuhalten und den vielen Erinnerungen und Eindrücken nachzuspüren, die der Hanseradweg bietet.
Und das habe ich auf dem Weg dorthin gefunden